Beitrag Hallo Soest

Der Werler „Deutschsprechgarten“

Artikel im Magazin „hallo Soest“ des F.K.W. Verlags, Ausgabe Juli 2024. Herzlichen Dank für die Berichterstattung und die Genehmigung zur Wiedergabe von Text und Bild auf dieser Website.
Beitragsbild (oben) v.l.: Claudia, Franz Fischer, Sabina Grund.

„Garten der Kulturen“ bringt Menschen zusammen


Das Werler Integrationsprojekt „Garten der Kulturen“ wurde im vergangenen Jahr zum zweiten Mal nach 2018 mit dem Integrationspreis des Kreises Soest ausgezeichnet [1]. Aus einer alten Obstwiese machten die Ehrenamtlichen einen interkulturellen Treffpunkt. Das Angebot ist vielfältig und breit gefächert, was die Jury überzeugte. Wie vielfältig, hat die „hallo Soest“-Redaktion im Interview mit Franz und Claudia Fischer sowie Sabina Grund vom Leitungsteam erfahren.

Der Start

Den „Garten der Kulturen“ gibt es seit 2017. Entstanden ist er durch Zufall, wie Franz Fischer erzählt: „Es gab ein Vorgängerprojekt bei einer Flüchtlingsunterkunft in Werl, bei dem Hochbeete mit den Geflüchteten gebaut und mit Gemüse bepflanzt wurden. Das funktionierte aber nicht ganz so gut, weil hier die Menschen oft wechselten.“ Gegenüber dieser Unterkunft lag ein Grundstück der Stadt Werl jahrelang brach, weil es als Vorhaltefläche für eine Eisenbahnunterführung dienen sollte, die bisher aber nicht gebaut wurde. 2017 haben sich dann einige Leute zusammengefunden, die auf diesem Grundstück mit Erlaubnis der Stadt mit einigen Flüchtlingsfamilien Hochbeete anlegten.

„Die Gartenhütte wurde renoviert, ein Spielhaus, Sandkisten und Spielgeräte gebaut und die Familien haben die Beete länderspezifisch bepflanzt: Kresse und Minze aus dem Iran, Zwiebeln aus Afghanistan, Blumen aus dem Irak und so weiter“, erklärt Claudia Fischer. Neben der Pflege des eigenen Beetes geht es im Garten um die Sprachpraxis, denn inzwischen kommen Menschen aus 13 Nationen und Deutsch ist die einzige gemeinsame Sprache.

„Meist wird eine bis eineinhalb Stunden gegärtnert und danach tauscht man sich ausgiebig bei Kuchhen, Kaffee, Tee und anderen internationalen Leckereien auf Deutsch aus. Auch unsere Grillfeste sind immer besonders gut besucht, da bringt dann auch jeder etwas mit“, sagt Sabina Grund.

Der „Garten“ wächst

Was klein anfing, ist stetig gewachsen. Zunächst wurde das Projekt bei den Geflüchteten durch das Sozialamt bekannt gemacht, inzwischen kommen auch neue Interessierte durch Mundpropaganda.

„Erst waren es nur wenige Ehrenamtler, aber es finden sich immer mal ‚Goldstücke‘ per Zufall. Viele sind bereits nicht mehr berufstätig. So unterstützen uns Lehrer im Ruhestand und der ehemalige Leiter der VHS, indem sie Deutschkurse bei uns geben“, so Sabina Grund. Selbstverständlich sind alle Interessierten willkommen – mit und ohne Migrationshintergrund – denn es geht um Begegnung auf Augenhöhe und Hilfe beim Angekommen in Werl. Rund 20 Familien, viele mit kleinen Kindern, kommen in den Garten, um mal raus zu kommen. Denn meist leben sie in den ihnen gestellten Wohnungen mit mindestens einer weiteren Familie zusammen. Seit Langem ist das Projekt nicht mehr nur auf den Garten beschränkt.

„Wir sind im Sommer gestartet und irgendwann kam die Frage auf ‚Was machen wir im Winter?‘ Da gab es die Überlegung, kostenlose Deutschkurse parallel zu denen vom BAMF anzubieten, weil die Geflüchteten meist bis zum Abschluss ihres ersten Asylverfahrens warten müssen, um einen Deutschkurs zu erhalten“, sagt Franz Fischer.  So unterstützte die Stadt 2018 das Projekt mit einem Lerncontainer und Räumen in der Overbergschule, die die Ehrenamtlichen in Eigenleistung renoviert haben.

„Das Angebot der Deutschkurse kam sehr gut an, denn nur durch diesen einen Kurs ist der Tag schon strukturiert. Die Warterei ist einfach psychisch belastend“, erzählt Sabina Grund. Mit dem Integrationsladen in der Engelhardstr. 1-3, direkt gegenüber der Sparkasse, kam im Herbst 2022 ein weiterer Meilenstein hinzu, sodass inzwischen an drei Standorten vielfältige Integrationsangebote stattfinden.

Sprechen, Schwimmen, Nähen

Zum Angebot gehören Deutschkurse für Anfänger. „Dabei darf man nicht vergessen, dass die Bildungssituation in einigen Ländern viel schlechter ist, als bei uns. Zu uns kommen auch Analphabeten oder Menschen, die ganz andere Schriftzeichen wie arabische, kyrillische oder auch chinesische gewohnt sind,“ sagt Franz Fischer. Andererseits helfen die Ehrenamtlichen auch Ärzten, Ingenieuren, Mechatronikern, Handwerkern, Landarbeitern, Lehrern, Rechtsanwälten, Kaufleuten oder Konditorinnen, ihre Berufsabschlüsse hier anerkennen zu lassen. Dazu gehören dann auch Deutschkurse für Fortgeschrittene, in denen es um Grammatik und die Vorbereitung auf höhere Sprachtests geht.

„Wir bieten auch Schwimmkurse für Männer und Frauen zusammen mit der DLRG-Ortsgruppe Werl an. Die sind alle ganz Klasse und geben diese Kurse zusätzlich zu ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bei der DLRG“, so Sabina Grund.„Ich habe zunächst mit den Frauen angefangen. Das war schön, dass die Frauen mal unter sich sind. Und dann haben sich irgendwann die Männer beschwert und jetzt gibt’s eben auch einen für Männer“, sagt sie lachend. Gleichzeitig zeigen sich bei solchen Angeboten auch die Traumata: „Einige haben panische Angst vor Wasser, weil sie übers Mittelmeer geflüchtet sind. Ich musste ihnen die ersten Male die Hand halten“, ergänzt sie. Während der Coronazeit ist das Format„Walk and Talk“ entstanden. „Wir  haben gemerkt, dass sich die Familien in dieser Zeit zurückgezogen haben und es war schnell klar, dass die Deutschkenntnisse schwinden, weil in den Familien die Muttersprache gesprochen wird“, erzählt Claudia Fischer. So sei sie mit einer Mitstreiterin auf die Idee gekommen, gemeinsam spazieren zu gehen. „Wir haben uns immer irgendwo getroffen, sind eine Stunde gelaufen und haben Deutsch  gesprochen.“

Bis heute sei das immer ein guter Kontakt für die Frauen. Sie gehen meist um die Mittagszeit los, wenn die Kinder betreut sind, spazieren zwanglos durch die Stadt oder den Kurpark und unterhalten sich. „Inzwischen sind das kleine Stadtführungen geworden. Jeder kennt sich irgendwo besser aus und erzählt den anderen darüber. Besonders, wenn neue Damen dazukommen ist das schön. Die Frauen, die schon länger dabei sind, übernehmen dann die Erklärungen. Ebenfalls im Angebot: Eine multikulturelle Nähgruppe, der sich inzwischen auch Damen der Kfd angeschlossen haben.

„Sobald wir die Türen des Integrationsladens zu den regelmäßigen Zeiten öffnen, dauert es gar nicht lange und schon ist volles Haus“, sagt Sabina Grund. Inzwischen zeigten sich auch die Früchte ihrer Arbeit besonders in Sachen Deutschkenntnisse: „Ich habe in der letzten Zeit so viele gute Gespräche zu gesellschaftlichen und auch politischen Themen hier im Laden geführt, weil die Menschen sich ausdrücken können“, so Grund. Stolz berichtet Franz Frischer: „Wir haben im Vorfeld zur Europawahl alle regionalen Kandidaten der demokratischen Parteien zu uns in den Garten eingeladen und alle sind gekommen. Das waren immer schöne Gespräche. Auch wenn man nicht immer einer Meinung war, hat man sich auf Augenhöhe ausgetauscht.“

Unterstützung beim Berufseinstieg

Aktuell sei die wichtigste Aufgabe der Ehrenamtlichen, die Menschen in Arbeit, Ausbildung oder Studium zu bringen. Dazu geben sie Hilfestellung beim Bewerbungen schreiben, mit Bewerbungstraining, aber auch der Online-Bewerbung oder der digitalen Anmeldung bei der Kita. Denn: „Es liegen einfach Ressourcen brach und leider legt uns die Bürokratie am meisten Steine in den Weg.“
So belege eine ihrer Schützlinge bereits seit einiger Zeit ohne Probleme einen Lehrgang für die Fachkraftassistenz in der Pflege, der auf Deutsch stattfindet. Nun stehe die Abschlussprüfung vor der Tür und es heißt, sie müsse aber noch eine Deutsch B2 Prüfung vorlegen, sonst könne sie den Lehrgang nicht abschließen. Solche Beispiele gebe es zuhauf, erzählen die drei, und das führe bei allen Beteiligten zu Frust, Ärger und Unverständnis. Denn die Motivation zu lernen komme von den Geflüchteten selbst, manchmal auch aus den Familien heraus, wenn die älteren Kinder merken, dass das Geld nicht reicht und sie mehr erreichen möchten. Das motiviere auch die Eltern. Alle Menschen, die die Angebote des „Gartens der Kulturen“ wahrnehmen, sind hoch motiviert. „Ich habe kürzlich eine junge Frau, die zu uns kommt, getroffen. Sie kam abends von unserem Computerkurs, den sie zusätzlich zu ihrem Praktikum im Krankenhaus belegte. Sie war glücklich, aber auch ganz müde. Sie hat mir mit Freudentränen in den Augen erzählt, dass sie ihren letzten Praktikumstag hatte und von jeder der Kolleginnen ein kleines Geschenk bekommen hat. Es ist einfach schön, wenn die Barriere der Sprache überschritten wurde und man dann zusammenfindet“, sagt Sabina Grund.

„Wir haben hier den Fall eines ganz motivierten schon etwas älteren Mannes, der sich von einem unbezahlten Praktikum zu nächsten hangelt. Wir hören immer nur von den Chefs, wie begeistert sie von ihm und seinen Fähigkeiten sind. Einstellen wollen sie ihn aber nur, wenn das Jobcenter einen Zuschuss gewährt, was es mit recht nicht tut. Das frustriert und trotzdem macht er weiter“, erzählt Franz Frischer.

Hilfe willkommen

Bei so viel Engagement ist natürlich weiterhin ehrenamtliche Hilfe sehr willkommen. Am besten kann man die Mitglieder vom „Garten der Kulturen“ mit Zeit unterstützen. „Wir freuen uns, wenn jemand regelmäßig vorbei kommt und sich einbringt“, sind sich die drei einig. Zudem werden gerade „Leihgroßeltern“ gesucht: Hier geht es um Hilfe im Alltag und die Entlastung für junge Paare, damit diese auch mal ein bisschen Zeit für sich haben, sie aber wissen, dass die Kinder versorgt sind. „Es geht auch darum, die Lebenserfahrung zu teilen. Die meisten jungen Geflüchteten mit Kindern haben keine Eltern mehr oder sie sind weit weg. Oft können sie aber auch nicht helfen, wenn es um Fragen zum Leben in Deutschland geht“, erklärt Claudia Fischer. Wer Lust hat, die Ehrenamtlichen zu unterstützen kann sich gerne melden. …


[1] Integrationspreis 2023